Wolfgang Lüttgens
Texte Gregor Jansen
"Fenster zur Welt"
Katalogtext zur Ausstellung: "range",
Japanisches Kulturinstitut, Köln, 2011


Die realen Orte und ihre Imagination derselben sind es, die Wolfgang Lüttgens interessieren in seinen Fotografien und Objekten. Gleichwohl er dies nicht als klare Beziehung zu den realen, außerbildnerischen Orten inszeniert, sondern vielmehr verschleiert, abstrahiert oder wie hinter eine Farbfolie abtauchen läßt. Ihm geht es um das Besondere, den besonderen Moment der Aufnahme wie es die Fotografie erlaubt, und der Prozeß des Dahinter als ein Davor, ein zeitlicher Dehnungsvorgang mit deutlich sichtbaren Auswirkungen für den Hintergrund, den kurzen fotografischen Moment. Letzteres erlaubt ihm der Arbeitsverlauf mit und über den Computer.

Das Dargestellte als Aufnahmemoment ist seit einigen Jahren insbesondere das Atelier des Künstlers. Der Hintergrund als ein Foto, ein Abbild der Realität, ist der Arbeitsplatz des Urhebers selbst. Ein Ort ohne Zeit, ein Ort der Ruhe, des kontemplativen Reflektierens. Die nicht abbildbare, weil überkomplexe Realität draußen, außerhalb des Studios, ist der Ort der Unruhe und Irritationen. Drinnen Innenwelten, Konzeption, draußen Außenwelten, Realisation. Ein einfaches Paar - eine einfache Gleichung.

Das Atelier, die Keimzelle der künstlerischen Arbeit ist verschleiert, verdeckt von Farbe, Feldern und Flächen. Nur zart offenbart es uns sein Eigenleben, seine Realität, die mal abstrakt ist, mal hinter Streifen oder wunderbaren Inkjet-Farben verborgen, mal in Skulpturen im Raum wieder abgebildet erscheint. Die sehr zarten, fast monochromen Atelierfotos thematisieren das Licht, die Qualitäten des Lichts, was für einen Fotografen noch stärker als für den Maler die Erkenntnis des Gegenstandes oder Raumes per se ist.

Es gibt jedoch ebenso andere, von der komplexen Realität eines fremden Stadtraumes ausgehende Überlegungen, wie seine Wandarbeit „View" aus dem Jahre 2009 für das Bluecoat Arts Centre in Liverpool. Neben zwei digital veränderten Atelierfotos sehen wir auf den flüchtigen ersten Blick in einer schwarzen Wand unterschiedlich große und helle Punkte wie Sterne am Nachthimmel. Jedoch erkennt man auch schnell ein gleichmäßiges Raster und beim Nähertreten „Löcher", die aus kreisrunden Fotografien zwischen 8-25 mm Durchmesser bestehen und städtische oder architektonische Details zeigen. Dem Guckloch eines Fernerohres ähnlich erblickte der Betrachter im Kunstraum mithilfe aufgebrachter Fotografien Details des Liverpooler Stadt- und mithin Außenraumes. Innen und Außen stehen derart verklammert als Konzept beisammen, daß der „neuronale Blitz" als Funktionsprüfung der Sehnerven (der Augen) in einer Wechselbeziehung zwischen konstruierter Hirn-Realität und dem Realen changiert.

Wolfgang Lüttgens abstrahiert und fragmentiert die fotografische Realität , um zu einer neuen bildlichen Realität zu gelangen, die dem Klischee des objektiven dank gleichnamiger Linsenoptik zuwider strebt. Jenseits des sogenannten "Wirklichen" oder Realen gehorchen seine Bilder eigenen Gesetzen und spiegeln dennoch auf (digitalen) Umwegen die unendlich vielfältige, widersprüchliche und unergründbare Realität wider.

Bei ihm sind die Hintergründe - was explizit Szenerien und Rückbezüge meint - verschlossen, zugleich demungeachtet erkenntlich. In der Sichtbarkeit als Hintergrund liegt die Frage von Geben und Nehmen, von Offenbaren und Verschleiern, von Darbietung und Geheimnis. In der Malerei ist uns dies durchaus vertraut mit einem zurückgeschobenen Vorhang. Das Atelier ist ein merkwürdiger Ort - der Künstler meist allein mit sich und der Idee, dem Problem und dem Entstehungs-Prozess des Werks, und bisweilen wird so etwas zum Konzept von Werken. Für einen Fotografen ist dies natürlich sehr spannend: Wenn sein Studio, das eigentlich nicht Sichtbare des Foto-Settings, das Setting des Werkes selber wird.

Die Eleganz, mit der jenes „Vorhang-Lüften" bei Lüttgens geschieht, ist filigran, formal sehr streng und dennoch spielerisch, also leicht artikuliert. Gerade die Experimente mit dem Raum, wie bei „View" in Liverpool oder die de-konstruktivistische Holzkonstruktion im Japanischen Kulturinstitut Köln als ein erweitertes, unsinniges Möbel, lassen uns die verschiedenen Ebenen, die bereits in seinen Farbtafeln anklingen oder aber in den „Remainders", in denen wie Fensteröffnungen Einblicke gewährt werden, figurativ plastisch erleben. Vieles noch gäbe es zu seinen Werken zu erzählen, die Philosophie des Lichts spielt bei einem Fotografen offenkundig die wesentliche Rolle, oder auch der Perlmuttglanz bei dem einen „Colourpaper"
" ist ein wundersamer Effekt, der an die Augentäuschungsmalerei erinnert. Zweifelsfrei ausdrucksvoll ohne Pathos ist die kleine Rose, die gelöchert und doch mit wahrer Liebe zum Destruktiven vom Konflikt im Leben der Gefühle spricht.

Wolfgang Lüttgens arbeitet aus und mit, aber letztlich über die Realität seiner Umgebung, seines Alltags und seiner täglichen Erfahrungen. Die Normalität bestimmt das Dasein und nur eine kleine Verschiebung, eine ungewohnte Veränderung lässt uns den Zauber der meist unzauberhaften Normalität oder Realität verspüren und den Alltag vergessen. Die zahllosen Fenster zur Welt sind in seinen Arbeiten gerade erst wieder geöffnet oder teilweise halb geschlossen. Konstruktionen sind es (wie diese Wörter) allemal, und auch wenn wir dies vorher wußten - so frappierend „foto-grafisch" haben wir sie schon lange nicht mehr gesehen.
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